und andere Einblicke in die Buchkunst des Gert Fabritius

 

Gert Fabritius ist tief im Herzen ein Holz­schneider, und seine Arbeiten sind dadurch häufig in der Technik des Holzschnittes angelegt. Er beherrscht diese alte Technik perfekt und hat sie in die Moderne übersetzt, indem er Hammer und Beitel mit Ketten­säge und Winkelschleifer ergänzt. Da­durch erhält sein Werk einen noch ex­pressiveren, fast rohen Ausdruck.

Thematisch arbeitet Gert Fabritius an der menschlichen Existenz, die, eingezwängt in gesellschaftliche Zwänge und Grenzen, den Imponderabilien des Lebens ausgesetzt ist. Grenzen wollen ausgelotet und überwunden werden. Dadurch liegt eine Be­schäf­tigung mit dem Totentanz-Thema nahe.

Seit dem 15. Jahrhundert wird das Motiv des Totentanzes in Europa als Holzschnitt in der Tradition des „Danse macabre“ dargestellt. Die Entstehungsgeschichte liegt im Dunkel der Geschichte, er lässt sich aber aus dieser Zeit als eine Art Bild- und Ab­wehrzauber gegen die Pest verstehen. Im 14. Jahrhundert wütete die Pest, und zu­sätz­lich starben viele Menschen an Unter­ernährung – insgesamt rund ein Drittel der europäischen Bevölkerung. Gesell­schaft­li­che Zusammenhänge wurden aufgelöst, es machte sich eine Endzeitstimmung breit. Es kam zu Stigmatisierungen und Schuld­zu­wei­sungen, die in einer Welle der Hexen­ver­brennungen eskalierten. Zeitgleich verbreitete sich eine Vergnügungs- und Ge­nuss­sucht mit wilden Tänzen, um die Ver­falls­erscheinungen zu kompensieren.

Der Totentanz sollte dazu ermahnen, dass ein gottgefälliges Leben zu führen sei, um dem als Idee im 12. Jahrhundert aufgekommenen Fegefeuer zu entgehen. Gleichsam sollten durch das Versinnbildlichen, alle Stände seien gleichermaßen betroffen, eine Erhaltung der Ständeordnung manifestiert werden mit der Aussicht auf eine jenseitige Gerechtigkeit. Daher stehen in allegorischen Gruppen Tänzer und Tod abwechselnd im Reigen beieinander.

Gert Fabritius‘ Totentanz bezieht sich auf die wichtigste Textzeile eines Gedichtes von Immanuel Weißglas – „Er (der Tod) ist ein Meister aus Deutschland“ –, die erstmalig in Bukarest im Jahre 1947 publiziert wurde. Später brachte Paul Celan, ein Jugend- und Dichterfreund, dieses Zitat in seine „Todes­fuge“ ein. In seinem Totentanz „Der Tod tanzt“ bezieht sich Gert Fabritius auf mo­der­ne Gefahren. Da wird der Straßen­verkehr, die Luft­ver­schmutzung, der Um­gang mit Müll, aber auch Atom­katastro­phen, Bomben­bedroh­un­­gen oder AIDS als heutige Ursachen für ein Massensterben angeprangert, um eine Auseinandersetzung mit diesen Themen zu bewirken.

Eine andere Facette seines Schaffens, die in dieser Ausstellung gezeigt wird, sind die Tagebuch-Aufzeichnungen, die Fabritius gerne als „Tagebuch-auf-Zeichnungen“ ver­standen wissen will. Hier werden, wie es ihm eigen ist, eine Vielzahl mythischer oder christlicher Gestalten als Sinnbild für die eigene Befindlichkeit verschlüsselt.

Ergänzt werden die Tagebücher durch „Notizbücher“, in denen gescribbelte Ent­wür­fe erstmalig öffentlich zu sehen sind. Da formiert sich ein Gedanke, eine Frage, eine An­mer­kung schon zu einer Skizze, die jedoch „nebenbei“ in Notizbüchern entsteht. Teils werden diese Fragmente zu Collagen in anderen Bildern, teils werden sie durch Collagen selbst ergänzt.

 

Sabrina Buchholz